Carpe Diem II – Zeit für Freundschaft, Liebe und Vertrauen

„Glückliche Ehen sind auf eine tiefe Freundschaft gegründet. Freundschaft hält die Flamme der Liebe am Brennen, denn sie ist der beste Schutz vor feindseligen Gefühlen“
John M. Gottmann, Ehe- & Familieninstitut Seattle, einer der führenden Fachleute
in Sachen Partnerschaft.

Freundschaft, Liebe und Vertrauen – sind nicht allein Garanten für mehr Lebensqualität, sondern auch für ein längeres und gesünderes Leben. Gerade Vertrauen steht im Mittelpunkt, bei einer guten Freundschaft genauso wie bei einer liebevollen Partnerschaft. Vertrauen jedoch braucht Zeit.

Zeit, sich aufeinander einzulassen, sich sehr gut kennen zu lernen. In langen Gesprächen, in gemeinsamen Erlebnissen, im Austausch über persönlich elementare Werte, Zielsetzungen und Visionen, Lebenspläne, Nöte wie Ängste. Zeit, um aktiv zuzuhören. Sich in allen Facetten um den anderen bemühen, an seiner Persönlichkeit wirklich interessiert zu sein. Gerade auch an den Unterschieden zu sich selbst. Diese Unterschiede als Bereicherung wahrzunehmen und den anderen nicht verbiegen zu wollen. Nach und nach wächst das Vertrauen, Schutz- um Schutzschicht fallen zu lassen, sich zu öffnen, ja dadurch verletzlich zu werden. Vertraulichkeit zugesagt in jeder Situation. Wenn beide Seiten so vorgehen, wächst eine tiefe dauerhafte Basis – in einer Freundschaft wie in einer Partnerschaft. Wertschätzung und gegenseitiger Respekt – dem anderen Raum zu geben, sich selbst sein zu können und doch ganz nah am eigenen Herzen. Vertrauen wie Vertraulichkeit.

Hierzu ist stetiges Bemühen notwendig – ein Liebespaar hat immer Zeit und Raum füreinander. In der Phase des Verliebtseins – und wie sieht es später aus? Im Durchschnitt sprechen Paare nur noch 10  Minuten täglich miteinander, und selbst dann noch mit Fokus auf Kinder oder alltägliche Aufgaben. Viele verlieren sich: „Ich habe mich verändert – mein Partner ist nicht mitgewachsen.“  Oder „Sie hat sich verändert. Sie ist nicht mehr so wie sie war, als ich sie geheiratet habe.“ Wie könnte es auch anders sein? – nach einigen Jahren, Kindern wie beruflichen und privaten Herausforderungen. Wie könnte man da „nicht gewachsen“ sein? Dies wäre Stillstand – Stagnation. Was allerdings gefehlt hat, ist die Freude an der Entwicklung, am „Wachstum“ des anderen. Mitfreude am Erfolg, Unterstützung bei Krisen und eigenes Mitwachsen. Bei einem stetigen Austausch, sich Bemühen um den anderen, wächst man miteinander.

Aus zwei starken Bäumen wird dann ein Wald, der Wind und Wetter trotzen kann. Wo man weiß,  dass der andere einem den Rücken stärkt. Ein starke Einheit, dennoch flexibel genug, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen. Die Andersartigkeit des Partners, des Freundes immer wieder wertzuschätzen. Sie oder ihn „nach seiner Facon“ leben zu lassen, nicht zu verbiegen. Nach 36 Jahren mit meinem Partner kann ich aus Erfahrung sprechen. Wie herrlich es ist, wenn eine Partnerschaft wie Freundschaft wächst und gedeiht über unterschiedliche Lebensphasen.

Welch eine Fülle der Erfahrungen wird einem durch gute Freunde wie einem Partner geboten? Reichtum an Erkenntnisaustausch, krisenfest – denn für meinen Partner wie für einen guten Freund bin ich auch dann noch wertvoll, wenn ich mich selbst schon als Versager fühle.

Für mich ist Freundschaft sehr kostbar. Freundschaft wächst langsam, braucht Zeit, gemeinsames Erleben, Freude, gegenseitige Hilfe und Zuverlässigkeit.  Auf wahre Freunde kann ich bauen, gerade in Krisenzeiten. Da kann ich offen sein, Schwächen zeigen und werde aufgefangen. Echte Freunde zeigen sich gerade durch ein ehrliches Wort. Das mag einem vielleicht im ersten Augenblick gar nicht so gefallen, aber letztendlich hilft gerade dies einem weiter. Oftmals braucht man gar keine Worte, man ist angekommen und wird auch verstanden, ohne „viel zu sagen.“ Dieses gegenseitige Verstehen bleibt bestehen, selbst wenn man sich längere Zeit nicht sehen kann. Solch gute Freunde habe ich nur wenige. Eine Hand voll ist schon viel – und über die Welt verstreut.

Umso erstaunter bin ich über „Freundschaftsanfragen“ von Menschen, die ich gar nicht oder kaum kenne. Ja – ich weiß, ich sollte „mit der Zeit gehen“. – und es stimmt, auch ich habe einen Facebook Account. Aber immer noch wundert es mich, dass mich „wildfremde“ Leute als ihre Freundin auserkoren haben. Eine wahre Freundschafts-Inflation – einige haben über 1000 oder gar 4000 „Freunde“. Schon die Definition Freundschaft wird hierdurch abgewertet. Wirklich kennenlernen kann ich den anderen über Computer kaum. Kontakte ja, selbstverständlich auch ein gewisser Austausch, – aber Freundschaft?

Ist es wirklich Zeichen einer Freundschaft, wenn ich über 1000 Freunden mitteile, dass ich gerade frisches Gemüse putze und das Abendessen zubereite? Wenn ich Bilder meines Urlaubs oder anderer privater Erlebnisse einfach „frei für alle“ ins Netz stelle und damit vielleicht gerade auch die Vertraulichkeit meiner Freunde verletze. Freundschaft und Partnerschaft basiert meines Erachtens gerade auf Vertraulichkeit, ohne die Vertrauen nicht möglich ist.

Nur meine besten Freunde oder wirklich nahe Bekannte teilen meine Bilder, Erlebnisse und Eindrücke. Diese Exklusivität leiste ich mir einfach – denn das sind mir meine Freunde, und natürlich mein Partner wert.

  1. Wie viele Freunde haben Sie bei Facebook? –
  2. Wie viele „Freundschaftsanfragen“ erhalten Sie täglich? Macht Sie dies glücklich?
  3. Wie tief ist Ihre Verbindung zu diesen Freunden?
  4. Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihnen?  Was teilen Sie mit diesen Freunden? Auf welche dieser Freunde können Sie sich verlassen? –  z.B. wenn Sie mitten in der Nacht in einer fremden Stadt Hilfe brauchen? Wer ist dann für Sie da?  

Dieses Thema möchte ich in den nächsten Ausgaben der Coachingheute gerne mit Ihnen
diskutieren, senden Sie mir doch dazu Ihre Ansichten und Erfahrungen. Ich freue
mich auf einen aktiven Austausch hier oder hier  in meinem Blog

Carpe Diem 1 – Zeit für Traurigkeit, Trauer und Abschied

„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts
verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“  
(Sören Kierkegaard)

Ein Abschied bedeutet da – Kierkegaards Gedanken aufnehmend – gerade die Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Etwas, was für uns Bedeutung hatte, endet und veranlasst uns, nachzudenken entweder mit Wehmut, Trauer oder auch Vorfreude auf Neues. Die Vergangenheit Revue passieren zu lassen, um das Wichtige zu erkennen, zu lernen und in die Zukunft einfließen zu lassen.

Einschneidend sind vor allem Abschiede, die ein hartes Ende herbeiführen: das Ende einer Freundschaft, einer Partnerschaft – wo elementarste Werte verletzt wurden, der gegenseitige Respekt auf der Strecke geblieben ist. Große Enttäuschungen, Vertrauensverlust – dann kann ein solcher Abschnitt auch Erlösung und Aufbruch zu einer weiteren persönlichen Entwicklung sein.

Endgültig schließlich die Trauer beim Tode eines geliebten Menschen. Eine gute Freundin verlor ihre Mutter Ende 2010 und ich meinen Vater Ende März. Beide waren Mitte 80, blickten auf ein langes Leben zurück, beide waren erkrankt, und dennoch kam für uns das Ende dann doch sehr plötzlich. Zu meinem 50. Geburtstag bei meinem Rückblick wie bei meinen Blick in die nächste Dekade, war mir zum Glück bewusst, dass die Zeit mit meinen Eltern sehr kostbar werden würde.

Carpe diem– in der Hinwendung und im liebevollen Respekt zu den Eltern, gerade bei Krankheit, Schmerzen und Tod. Respekt vor der Lebensleistung und Persönlichkeit. In jeder Familie gibt es kleinere wie größere Verletzungen. Eltern sind nicht unfehlbar,  spätestens jetzt ist die Zeit, zu verzeihen. Zu lieben – bedingungslos – den eigenen Stolz vielleicht mal hinten anzustellen. Sichtweisen revidieren oder einfach unüberbrückbare Unterschiede akzeptieren, stehen lassen, Toleranz aufbringen. Denn selbst, wenn nicht alles ausgesprochen und ausdiskutiert werden kann – Emotionen und Verzeihen zulassen. Meine Erfahrung: Es ist eine große Erleichterung – für beide, das bedingungslose „Ich liebe Dich“, „Ich danke Dir für alles“.

Wir haben unsere letzte gemeinsame Zeit genutzt. Manchmal musste ich genau hinschauen, meine Sinne schärfen. Blicke, kleine Gesten, kleine Worte drückten dann plötzlich die ganze Welt aus. Wir konnten gut – voll und rund miteinander abschließen. Ich hatte die Ehre, die Trauerrede meines Vaters zu halten. 86 Lebensjahre – seine Lebensleistung; Gerade diese Rückschau, diese Erinnerung brachte viele Facetten, Qualitäten und Ereignisse seiner Persönlichkeit zutage, die „über die Jahre“ untergegangen oder mir gar nicht bewusst waren.  Die mir aber auch zeigten, wie viel von ihm in mir steckt und was dies für meine Zukunft bedeutet. Seinen und meinen Kern entdecken und wertschätzen, – dann kann auch der Tod angenommen und die Trauer verarbeitet werden. Denn diese Zeit hat seine eigene Qualität, die sich nur entfalten kann, wenn man sich dafür Zeit nimmt und sie auslebt.

Eine Freundin teilte mit mir ihre Erfahrung: „Ich wünsche Dir viel Kraft – aber auch die Zeit, eine angemessene Trauerphase zu durchlaufen. Den Tod meiner Mutter habe ich niemals betrauert – und ich weine noch heute – 30 Jahre danach! Das friedliche Loslassen hatte einfach keinen Platz. Darum wünsche ich Dir von Herzen: Nimm Dir Zeit für Dich und Deine Erinnerungen an Deinen Vater.“

Denn die Auseinandersetzung mit Tod und Trauer ist aus unserem Leben verschwunden. Er hat keinen Platz mehr, obwohl er allgegenwärtig ist – zu jeder Jahreszeit und in jedem Alter.  Wir sollen alle immer gut gelaunt, bestens motiviert, allzeit dynamisch und einsatzfähig sein. Ob wir gerade mit Krisen, Trauer und Verlust zu kämpfen haben, soll niemand spüren. Oder will man selbst damit vielleicht nicht konfrontiert werden, denn dann käme man ja in Berührung mit den eigenen Ängsten oder man müsste sich aus der Komfortzone hinausbewegen und sich mal um andere kümmern?

In den USA wird jedem empfohlen, sich beim Tod eines geliebten Menschen in die Behandlung eines in Trauerbegleitung erfahrenen Therapeuten zu begeben, um den Verlust besser verarbeiten zu können, professionell, hilfreich und entlastend für Freunde und Familie. Aber wir alle sind gefordert: Früher gab es Rituale, die einem den Umgang mit dem Tod, dem Toten selbst wie auch den Trauernden erleichtern sollte. Die Totenwache, das Requiem, die Trauerrede, das Trauermahl, das Trauerjahr – nicht allein zur Ehrung des Toten, sondern auch als Respekt vor dem Trauernden, der anderen zeigen sollte: „Hier ist ein Mensch, der besondere  Achtsamkeit bedarf, um seiner besonderen Situation mit Respekt zu begegnen.“ Dies wird heute gerne negiert. Jeder soll schnell wieder zur sachlichen Routine zurück. Eher gewährt man noch Kollegen mit Liebeskummer eine Auszeit.

Wie aber sollte man Kierkegaards Hinweis im Leben umsetzen, wenn man sich keine Zeit zum Nachdenken mehr nehmen kann, über die elementarste zwischenmenschliche Beziehung. Erst mit dieser Reflexion, Erinnerung, Wertschätzung und Respekt kann dann auch der nächste Schritt – die Internalisierung dieser Erfahrung für die Zukunft erreicht werden. Denn die Erfahrung mit dem Tod, mit dem Toten selbst, ist ebenfalls die elementarste unseres Lebens und eine gute Vorbereitung. Es gibt nichts Erschreckendes, sondern Ruhe und Stille. Ich habe meine Dynamik, meine Widerstandsfähigkeit, meine „Lust an Leistung“ und meine Lebensfreude erhalten. Ich nehme voll am Leben und an der Arbeit teil, gewähre mir aber Zeiten des Rückzugs. Ich lache immer noch aus vollem Herzen. Nicht zuletzt, weil gerade dies Eigenschaften sind, die ich mit meinem Vater teile.

Was mir eben sehr geholfen hat und hilft, ist mein wundervolles soziales Umfeld:

  • Freunde, die offen sind, mir zuhören und meine Trauer zu lassen. Die ihre eigenen Erfahrungen mit mir teilen. Bei denen ich „trotz Trauer“ gern gesehener Gast bin.
  • Klienten, die mir viel Zeit und Raum gegeben haben – auch während der Krankheit meines Vaters und mir mit Herzlichkeit, Freundlichkeit und Verständnis begegnet sind.
  • Mein wundervoller Mann, der mir bei allem mit viel Liebe und tatkräftiger Unterstützung zur Seite steht.

Ihnen allen möchte ich herzlich DANKEN – denn sie beweisen, dass man mit wertschätzenden Menschen auch „gut trauern“ kann. Denn ein volles, rundes Leben besteht eben aus beiden – Zeiten der Freude wie Zeiten der Trauer. Beides kann miteinander verwoben werden und Tiefe erzeugen. Reife erzielt werden – authentisch, echt und wertvoll. Dann kann man guten Mutes die nächsten Schritte gehen – mit neuer Stärke:

 „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben. Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten!  Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden:  des Lebens Ruf an uns wird niemals enden. Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ (Hermann Hesse, Stufen)

Ich freue mich auf Ihre Kommentare, Meinungen und Erfahrungen hier in meinem Blog